Sammlung Leonie von Rüxleben
Die Kunst des Selbstporträts
Am 21. September 2005 verstarb 85-jährig die 1920 in Berlin geborene Sammlerin Leonie von Rüxleben. Die als Getreidemaklerin in Hamburg tätige Kunstfreundin hatte die Kunst des Selbstporträts für sich entdeckt. Über viele Jahre wuchs so nach und nach eine ganz besondere Sammlung graphischer Blätter, die ausschließlich die Selbstbefragung und -erforschung der jeweiligen Künstler zum Schwerpunkt hatte. Aber es ist nicht nur der thematische Schwerpunkt allein, der diese Sammlung auszeichnet.
2004 wurde ein Schenkungsvertrag mit den Museen für Kunst und Kulturgeschichte in Lübeck unterzeichnet, der ihnen die Sammlung mit einem Konvolut von rund 1400 Graphiken und Plakaten zu Ausstellungs- und Forschungszwecken übertrug.
Renate Sendler-Peters | Selbstbildnis | 1977 | Radierung
Eine Besonderheit stellt auch die Tatsache dar, daß es sich bei der Enthusiastin um eine Frau handelte. Wir kennen heute in der Regel Sammler oder Sammlerehepaare, die allein oder gemeinsam großartige Werkgruppen unterschiedlicher Künstler zusammenbringen und diese dann später häufig einem dafür geeigneten Museum als ihr Vermächtnis und als sinnvolle Ergänzung bestehender Sammlungen überlassen. Daß dieses eine einzelne Frau als Sammlerin mit eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten tut, ist hingegen singulär:
"Nach dem Kriege begann ich, mich intensiv mit moderner Kunst - also Malerei, Graphik, aber auch Bildhauerei - zu befassen und fing an, Graphiken zu sammeln, ohne aber ein spezielles Thema zu verfolgen. Es dauerte auch nicht lange, bis ich feststellte, daß ich mich damit auf ein uferloses Gebiet begeben hatte. Ungefähr gleichzeitig sah ich in einer Galerie ein Selbstbildnis eines Künstlers, das mich durch seine Ausdruckskraft ungemein beeindruckt hat. Zu meinem großen Bedauern bin ich dieser Arbeit, die ich infolge finanziell eingeschränkter Möglichkeiten nicht erwerben konnte, nie mehr begegnet.
Immerhin ist mir durch den Anblick dieser Arbeit klar geworden, welchen Weg ich im Hinblick auf meine Sammlung in der Zukunft gehen wollte: Selbstbildnisse! Und ich fing langsam an, meine Sammlung aufzubauen.
Renate Sendler-Peters | Selbstbildnis | 1983 | Graphik
Von Beruf war ich Getreide-Maklerin und als solche Angestellte einer der namhaftesten Hamburger Firmen dieser Branche. An finanziellen Möglichkeiten stand mir nichts weiter als mein Monatsgehalt zur Verfügung."
Obwohl Leonie von Rüxleben, die erste Kunstanregungen bereits durch ihren Vater in Berlin erhalten hatte, sich häufig manchen Sammlungswunsch versagen mußte und ihr auch auf vielerlei andere Dinge, wie etwa längere Reisen ins Ausland, versagt blieben, vermochte sie es im Laufe ihres Lebens dennoch, eine wunderbare Sammlung aufzubauen.
Neben den Kunstwerken gelangten auch die umfangreichen Korrespondenzen der Sammlerin mit den verschiedenen Künstlern, so wie die diese Sammlung betreffenden, umfassenden Buchbestände in den Besitz der Lübecker Museen. Mit der Sichtung der Korrespondenzen wurde bereits begonnen. Diese stellen einen ganz besonderen Wert dar, da sie sowohl interessante Informationen über die engagierte Sammlerin, als auch über die jeweiligen Künstler selbst bieten. Hierdurch wird zugleich eindrucksvoll ein Stück Sammlungsgeschichte dokumentiert..
Von Ausnahmen früheren Datums abgesehen, lag der Sammlungsschwerpunkt Leonie von Rüxlebens auf Werken, die nach 1945 hauptsächlich von aus Westdeutschland stammenden oder hier lebenden Künstlern geschaffen wurden. Allerdings befinden sich natürlich auch einige bedeutende Werke ostdeutscher Künstler aus der Zeit der DDR in dieser Sammlung.
Margrit von Spreckelsen | Keine Puppe-es ist nur- eine schöne Kunstfigur | 1976 | Bleistift, Kreide
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts pflegt man die Kunst in zwei prinzipielle Kategorien aufzuteilen, und zwar in die gegenständliche und die ungegenständliche Kunst. Von einigen Ausnahmen einmal abgesehen, gehört die Kunst des Selbstporträts zu Ersterem. Seine Tradition reicht in der abendländischen Kunst bis weit in das Mittelalter zurück. Seine Besonderheit besteht darin, daß der Künstler hierbei nicht nur zugleich der Schöpfer ist, sondern selbst auch zum Thema wird.
Es ist wichtig, sich zu verdeutlichen, daß es sich bei einem Selbstporträt selten nur um eine naturalistische, wahrheitsgetreue Darstellung des jeweiligen Künstlers handelt, die »nur« seine Physiognomie wiedergibt. Vielmehr sollte man sich bewußte sein, daß er auch hierbei eine Rolle spielt, die unterschiedliche Nuancen wiedergibt und häufig nur einen Teil oder lediglich einen Aspekt des Schaffenden offenbart oder zu darzustellen imstande ist.
Der Akt der Selbstschöpfung in Form der Selbstdarstellung zeigt nicht unbedingt die »Wahrheit« oder die »Wirklichkeit«. Vielmehr ist es ein Entwurf des eigenen Ichs in Form einer Selbstinszenierung, einer Verkleidung oder einer Vorstellung, wie man gesehen werden möchte, bzw. wie man sich selber (als Künstler) sieht.
Else Meidner | Selbstbildnis | 1926 | Radierung
Das Ganze ist wesentlich vielschichtiger, als es zunächst den Anschein hat, da uns als Betrachter immer ja nur jeweils eine Hülle, sei sie nackt, be- oder verkleidet, gezeigt wird. Es stellt sich bei jeder Arbeit erneut die Frage, wo ist das eigentliche Ich, bzw. wo endet die gespielte Rolle, die Selbstinszenierung oder inwieweit ist die Rolle sogar ein wesentlicher Bestandteil des Ichs selbst.
Zugleich ist das Selbstporträt auch immer eine offen dargelegte Reflexion des Schaffensprozesses selbst. Inwieweit sind die Machart des Bildes, sein Stil und seine Technik in Bezug auf das jeweilige Künstlerindividuum aussagekräftig oder gar manifestartig? Die Arbeitsweise selbst ist veränderlich und zugleich immer auch eine wesentliche Aussage über den Kreativen selbst.
Diese Fragen und die, nach dem Wesenskern des (Selbst-) Darstellers wird, zumindest in Teilen, wohl stets offen bleiben.
Die Ausstellungen in der Kunsthalle St. Annen
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Digitalisierte Bilder aus der Sammlung »Leonie von Rüxleben« im Projekt Digicult
Neben anderen Museen ist die Lübecker Kunsthalle St. Annen am Projekt »Digicult Museen SH« beteiligt. Über dieses Projekt wurden bislang rund 1.000 Bilder aus der Sammlung »Leonie von Rüxleben« digitalisiert und mit ausführlichen Beschreibungen versehen. Auf diese Weise steht die Sammlung der großen Internet-Gemeinde zur Betrachtung offen.
Bitte klicken Sie hier um direkt zu den Exponaten der Sammlung »Leonie von Rüxleben«im Rahmen des Projektes »DigiCult Museen SH« zu gelangen. |